„Stadt demaskiert sich selbst“ – Bürgerinitiative „Tschüss Erdgas“ fassungslos über Klage der Stadt Potsdam gegen die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens
Potsdam, 31. Oktober 2023 – Die Vertreter des Bürgerbegehrens „Tschüss Erdgas“ sind fassungslos über die Klage der Stadt Potsdam gegen den Bescheid des Landesinnenministeriums (MIK) zur Zulässigkeit des Bürgerbegehrens. Die Stadt zweifelt an, dass die Dekarbonisierung der Fernwärme in Potsdam innerhalb von sieben Jahren „technisch und finanziell umsetzbar“ sei.
Nicolai Lorenz-Meyer, Sprecher der Bürgerinitiative, kommentiert: „Mit dieser Klage demaskieren sich die Stadtverwaltung und allen voran der Oberbürgermeister selbst als undemokratisch. Sie investieren Zeit und Geld für ein Verfahren gegen ehrenamtlich engagierte Bürger:innen, anstatt bei der Energiewende voranzugehen. Für uns stellt sich die Frage, welchen Gestaltungswillen die Stadt beim Thema Klimaschutz überhaupt hat“, so Nicolai Lorenz-Meyer weiter.
Nicolai Lorenz-Meyer fügt hinzu: „Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung des MIK haben wir im September 2023 ausführlich und klar dargelegt, dass unser Plan technisch realisierbar ist. Dass die Stadt nun Klage einreicht, ohne sich zuvor mit uns auszutauschen, zeigt das Unvermögen der Stadt in einen produktiven Dialog mit der Zivilgesellschaft zu treten.“
„Tausende Potsdamerinnen und Potsdamer haben mit ihrer Unterschrift gezeigt, dass ihnen eine klimafreundliche Wärmeversorgung am Herzen liegt. Sie werden von der Stadt nun einfach abgekanzelt“, so Lorenz-Meyer weiter.
Zahlreiche Städte in Deutschland wie zum Beispiel Rostock, Kassel und Flensburg haben sich bereits ambitionierte Ziele zur Dekarbonisierung gesetzt. Auch die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung (SVV) hat sich im Mai 2022 zur Treibhausgasneutralität 2035 bekannt.
„Es liegen nur fünf Jahre zwischen dem Ziel der Stadt, 2035 klimaneutral zu werden, und unserem Ziel, bis 2030 das Fernwärmenetz zu dekarbonisieren. Gleichzeitig zeigen zahlreiche Studien, wie wesentlich eine zügige Dekarbonisierung von Strom und Fernwärme ist, um den Weg für die schwierigere Dekarbonisierung anderer Sektoren zu ebnen“, so Nicolai Lorenz-Meyer.
„Anders als vom Oberbürgermeister dargestellt wird die finanzielle Belastung der Endkunden vor allem dann besonders hoch sein, wenn wir weiter am fossilen Erdgas festhalten und perspektivisch auf grünen Wasserstoff setzen“, betont Nicolai Lorenz-Meyer. „Die Energiekrise 2022 hat die Risiken der Abhängigkeit von gasbetriebener Wärme deutlich gemacht. Die schrittweise Erhöhung des CO2-Preises durch die Bundesregierung und der europäische Emissionshandel werden zu einem weiteren Anstieg des Erdgaspreises führen. Etliche Studien zeigen, dass elektrifizierte Lösungen in Zukunft deutlich wirtschaftlicher sein werden als fossile.“
Als konkretes Beispiel für die Umsetzung eines fortschrittlichen Wärmekonzepts verweist die Initiative auf das neue Quartier Krampnitz. Dort kombiniert die EWP verschiedene fortschrittliche Technologien zu einem Technologiemix, der sich im Kern auch auf das gesamte Stadtgebiet Potsdams übertragen lässt.
Konkret unterstreicht die Bürgerinitiative folgende Potenziale für Potsdams Wärmenetz:
- Energiebedarfsreduktion: Der jährliche Bedarf für das Fernwärmenetz der EWP liegt zwischen 500 und 600 GWh. Mit gezielten, ambitionierten Sanierungsmaßnahmen könnte dieser Bedarf so weit verringert werden, dass der prognostizierte Bevölkerungszuwachs überkompensiert würde.
- Weiterentwicklung der Wärmenetze: Es sind kurzfristige Einsparungen durch Weiterentwicklung der Netze möglich. Dies beinhaltet Temperaturabsenkungen und einen hydraulischen Abgleich der Heizungsanlagen. Eine Anpassung der Anschlussleistungen könnte den Leistungsbedarf erheblich senken.
- Nutzung von Umweltwärme: Studien zeigen enormes Potenzial in Potsdam für die Nutzung von Flusswasserwärme und oberflächennaher Geothermie. Weiterentwicklungen in der Technologie könnten dieses Potenzial noch steigern.
- Tiefe Geothermie: Die jüngsten Ergebnisse der EWP bekräftigen das Potenzial dieser Technologie in Potsdam. Geschäftsführer Eckart Veil schätzt, dass 60 % der Haushalte damit versorgt werden könnten.
- Neue Technologie: Saisonale Wärmespeicher, wie sie in Dänemark bereits erfolgreich eingesetzt werden, fehlen in den bisherigen Transformationsplänen für Potsdam..
Nicolai Lorenz-Meyer betont abschließend: „Wir stehen weiterhin für einen Dialog mit der Stadt Potsdam zur Verfügung und sind bereit, gemeinsam an einer nachhaltigen und zukunftssicheren Lösung zu arbeiten.“
Pressekontakt
Nicolai Lorenz-Meyer, kontakt@tschuess-erdgas.de
Hintergrundinformationen zu “Tschüss Erdgas!”
“Tschüss Erdgas!” ist eine Initiative von Bürger:innen in Potsdam, die sich für eine bezahlbare, nachhaltige und klimafreundliche Energieversorgung einsetzen. Die Initiative ist ehrenamtlich und basisdemokratisch organisiert und wird von lokalen Gruppen wie GermanZero, BUND, Fridays for Future, Extinction Rebellion, Scientists for Future und den Grünen unterstützt. Das Ziel der Initiative ist es, die Energie- und Wärmewende in Potsdam zu beschleunigen.
Im “Masterplan Klimaschutz” hat sich die Stadt Potsdam das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden, was bedeutet, dass noch fast 30 Jahre lang klimaschädliches Erdgas verbrannt werden soll. Die Initiative fordert stattdessen den Aufbau einer dezentralen, nachhaltigen und demokratisch kontrollierten Energieversorgung in Potsdam.
Im September 2022 hat die Initiative ein Bürgerbegehren gestartet.